Wie eine Rakete ohne Bremse

Michael Rummenigge, Sie haben drei Jahre lang mit ihrem lteren Bruder Karl-Heinz beim FC Bayern gespielt. Wie oft sind sie auf dem Platz aneinander geraten?Viel hatten wir in den ersten Jahren nicht miteinander zu tun. Wir konnten uns anfangs auf dem Platz einfach nicht hufig sehen. Als ich 1981 als 17-Jhriger zu den Bayern kam,

Michael Rum­me­nigge, Sie haben drei Jahre lang mit ihrem älteren Bruder Karl-Heinz beim FC Bayern gespielt. Wie oft sind sie auf dem Platz anein­ander geraten?
Viel hatten wir in den ersten Jahren nicht mit­ein­ander zu tun. Wir konnten uns anfangs auf dem Platz ein­fach nicht häufig sehen. Als ich 1981 als 17-Jäh­riger zu den Bayern kam, war Karl-Heinz schon erfolg­rei­cher Natio­nal­spieler. Ich hatte damals noch gar keinen Pro­fi­ver­trag. Nach einem richtig guten Spiel von mir bei den Ama­teuren hat mich Trainer Pal Csernai 1982 in die Pro­fi­mann­schaft geholt. Dort habe ich im ersten Pro­fi­jahr fast nur trai­niert und eigent­lich nie mit meinem Bruder zusammen gespielt.

Dafür haben Sie ihrem Bruder viel von der Bank aus beim Spielen zuge­sehen.
Ich habe mich auf mein Spiel kon­zen­triert. Mit dem neuen Trainer Udo Lattek, der so etwas wie eine Vater­figur für mich war, kam auch meine Chance. So habe ich tat­säch­lich ein Jahr lang neben meinem Bruder im Sturm beim FC Bayern spielen dürfen.

Ihr Bruder hat nach der Saison 1983/84 den FC Bayern ver­lassen und ist zu Inter Mai­land gewech­selt.
Mein Auf­stieg ging erst so richtig los, als Karl-Heinz schon nicht mehr da war. Eines der letzten großen gemein­samen Spiele war das Pokal­fi­nale 1984 gegen Mön­chen­glad­bach. Vor dem Elf­me­ter­schießen kam mein Bruder zu mir und sagte: Wenn der nächste Glad­ba­cher ver­schießt, dann nimm Dir ein­fach den Ball. Du kannst uns zum Pokal­sieger machen.“ Genau das habe ich gemacht, obwohl ich eigent­lich gar nicht vor­ge­sehen war. Ursprüng­lich sollte Dieter Hoeneß schießen. Alle schauten etwas ver­wirrt, als ich mir den Ball schnappte. Mit ziem­lich viel Muf­fen­sausen bin ich ange­laufen und habe den Ball rechts ein­ge­schoben. Damit habe ich uns zum Pokal­sieger und meinem Bruder ein schönes Abschieds­ge­schenk gemacht. Mein Bruder war der erste, der mich vor Freude umge­rissen hat. Als Kapitän bei Bayern hat er mir auch sofort den Pokal in die Hand gedrückt.

Wollte er Sie als seinen Nach­folger auf­bauen?
Ich bin acht Jahre jünger als er. Ich war ein New­comer, er schon ein Welt­star. Natür­lich habe ich von seiner Erfah­rung pro­fi­tiert. Er hat mir vor jedem Spiel Tipps gegeben: wo ich stehen soll, wie ich mich bewegen soll. Dar­über hinaus hat mich mein Bruder auch viel kri­ti­siert. Wahr­schein­lich hat er mich härter behan­delt als seine eigenen Söhne. Aber das hat mich vor­an­ge­bracht. Genau wie Karl-Heinz früher mit Dettmar Cramer habe ich nach dem Trai­ning noch mit unserem Co-Trainer Rein­hard Saftig Son­der­ein­heiten gemacht, um besser zu werden.

Auch, um so schnell wie mög­lich Natio­nal­spieler zu werden?
Mein erstes Län­der­spiel kam viel zu früh. Es wäre besser gewesen, wenn ich vorher noch mehr Bun­des­li­ga­spiele gemacht hätte. Mein Ein­satz war eher Zufall. Die deut­sche Natio­nal­mann­schaft hatte ein Qua­li­fi­ka­ti­ons­spiel für die Euro­pa­meis­ter­schaft 1984 gegen die Türkei. Ich hatte einige Tage zuvor bei einem U‑21-Spiel, das wir 7:0 gewannen, zwei Tore geschossen und wurde kurz­fristig in den A‑Kader berufen, weil dort viele Spieler wegen Grippe aus­fielen. Ich wurde kurz vor Schluss ein­ge­wech­selt und habe nur einige Minuten gespielt. Mein nächstes Län­der­spiel habe ich erst drei Jahre später unter Franz Becken­bauer gemacht. Der Reiz war damals als junger 19-jäh­riger Spieler aller­dings zu groß, um ver­zichten zu wollen.

Hat Ihnen der frühe Ein­satz in der Natio­nal­mann­schaft geschadet?
Als ich beim nächsten Bay­ern­trai­ning in die Kabine kam, saß Franz Becken­bauer bei unserer Mann­schaft, weil er sich gerade auf das Abschieds­spiel von Gerd Müller vor­be­rei­tete. Als Franz mich sah, schüt­telte er mir die Hand und gra­tu­lierte mir zu meinem ersten Län­der­spiel. Das war wie ein Rit­ter­schlag. Franz war ja selbst mit 18 Jahren Natio­nal­spieler geworden. Auf einmal fühlte ich mich im Kreis der Großen ange­kommen. Das ging auf jeden Fall zu schnell. Der Auf­stieg war wie ein Rake­ten­start, den keiner bremste.

Ihr älterer Bruder hat diesen Auf­stieg sehr genau mit­ver­folgt. Hat er nicht ver­sucht, Sie auf dem Boden zu halten?

Karl-Heinz hat ver­sucht, meine Kar­riere in die rich­tigen Bahnen zu lenken. Mit 19 Jahren unter­liegt man aller­dings unglaub­lich großen kör­per­li­chen Schwan­kungen. Auch die Situa­tion, auf einmal in der Öffent­lich­keit zu stehen und immer gute Leis­tungen bringen zu müssen, setzt einen stark unter Druck. Das sind Fak­toren, auf die nie­mand richtig Ein­fluss nehmen kann. Wie die Kar­riere ver­laufen wird, ist schwer abzu­sehen. Für mich waren das auch in dieser Hin­sicht Lehr­jahre beim FC Bayern.

1988 sind Sie als inzwi­schen erfah­rener Spieler zu Borussia Dort­mund gewech­selt. Wieso haben Sie sich zu einer Rück­kehr nach West­falen ent­schieden?
Als 1987 mein Zieh­vater, Udo Lattek, Bayern ver­ließ, begann für mich eine schwie­rige Zeit beim FC Bayern. Mit dem neuen Trainer, Jupp Heyn­ckes, kam ich nicht gut aus. Zwi­schen uns passte es zwi­schen­mensch­lich ein­fach nicht. Der Verein legte mir dar­aufhin nahe, mir einen neuen Arbeit­geber zu suchen. Ich hatte Ange­bote von Dort­mund und Ham­burg. Mit Felix Magath, der zu der Zeit Manager in Ham­burg war, hatte ich eigent­lich schon einen Ver­trag aus­ge­han­delt. Der FC Bayern Mün­chen war­tete nur noch auf die Bank­bürg­schaft des HSV. Zwei Tage später erfuhr ich am Telefon, dass Felix Magath als Manager beim HSV ent­lassen worden war. Unser Ver­trag war also dahin. Also bin ich von heute auf morgen nach Dort­mund gefahren, um dort bei Dr. Gerd Nie­baum vor­zu­spre­chen.

Das klingt wie eine Not­lö­sung.
Dort­mund hatte damals kein eigenes Trai­nings­ge­lände. Die Spieler trai­nierten im Sta­dion Rote Erde. Ich wollte eigent­lich nur zwei Jahre in Dort­mund bleiben, um mich dann neu zu ori­en­tieren.

Wie haben die Dort­munder Fans Sie auf­ge­nommen?
Es gab, kurz nachdem bekannt wurde, dass ich nach Dort­mund gehe, eine Fan-Demo gegen mich. Marcel Radu­canu war nach Zürich abge­schoben worden, weil er angeb­lich zu alt war. Ich wurde als sein Nach­folger prä­sen­tiert. Den Dort­munder Fans stank es, einen Rum­me­nigge vom FC Bayern bei sich im Verein auf­zu­nehmen.

Obwohl Sie eigent­lich aus der Region stammen.
Das hatten die meisten Fans gar nicht richtig rea­li­siert. Viele von ihnen dachten, dass meine Brüder und ich eigent­lich aus Mün­chen stammen. Der dama­lige Schatz­meister bei Dort­mund hat mit mir dar­aufhin die ein­zelnen Fan­klubs bei Dort­mund abge­klap­pert, damit die Leute mich als Person selber ken­nen­lernen können. Dar­aufhin hat sich das Ver­hältnis zu den Fans gebes­sert. Auch, weil ich mich rein­ge­hauen habe und meinen Spiel­stil hin zum Kämp­fe­ri­schen geän­dert habe. Spä­tes­tens mit dem DFB-Pokal­sieg 1989 bin ich auch wirk­lich im Verein ange­kommen und letzt­end­lich deut­lich länger als die geplanten zwei Jahre geblieben.

Hat es Sie nie gestört, kein Publi­kums­lieb­ling zu sein?
Mich haben die Leute in Dort­mund nie so geliebt wie einen Sté­phane Cha­puisat oder Flem­ming Povlsen. Meine Leis­tung auf dem Platz haben die Fans aber immer respek­tiert und bewun­dert. Und das ist auch schon ganz gut. Für mich war wichtig mit­zu­helfen, in Dort­mund etwas auf­zu­bauen, was später dann zu den erfolg­rei­chen neun­ziger Jahren mit Meis­ter­schaft und Cham­pions League-Gewinn führte.

Die Titel, die Sie anspre­chen, hat Dort­mund gefeiert, als Sie den Verein bereits ver­lassen hatten. Zusammen mit Guido Buch­wald, Uwe Bein und Uwe Rahn haben Sie in der neu gegrün­deten japa­ni­schen J‑League ihre Kar­riere aus­klingen lassen. Was hat Sie an Japan und den
Urawa Red Dia­monds gereizt?
Für mich war es span­nend, in eine neu gegrün­dete Liga ein­zu­steigen. Natür­lich spielte auch eine Rolle, dass ich in Japan gut bezahlt wurde. Sport­lich haben mich die zwei Jahre, im Nach­hinein betrachtet, zwar nicht so viel wei­ter­ge­bracht. Aber per­sön­lich war für mich das Leben in einer mir bis dahin voll­kommen fremden Kultur eine beson­dere Erfah­rung.

Wie viel sind Sie denn tat­säch­lich mit Japa­nern in Kon­takt gekommen?
Im Alltag bin ich natür­lich ohne Dol­met­scher ziem­lich hilflos gewesen. Daher war es von Anfang an schwer, meine Frau zu über­reden, mit zwei kleinen Kin­dern länger in Japan zu leben. Zum Glück haben wir in der Nähe einer deut­schen Schule gewohnt. So haben wir auch Kon­takt zu anderen deut­schen Eltern bekommen. Außerdem hatten wir viel Besuch aus Deutsch­land wäh­rend der zwei Jahre. Es war schon ein biss­chen das Leben in der Enklave. Selbst das Brot haben wir vom deut­schen Bäcker geholt.

Haben Sie sich als Fremder in der Mann­schaft bei Urawa gefühlt?
In meinem ersten Spiel für Urawa wurde unser Spiel aus der Nähe von Tokio nach Sap­poro auf die Insel Hok­kaido ver­legt. Wir mussten in einem wich­tigen Pokal­spiel unbe­dingt gewinnen. Zur Halb­zeit lagen wir schon 3:0 hinten. Mir gelangen noch zwei Tore zum 2:3‑Endstand. Ich ärgerte mich ziem­lich, dass wir das Spiel nicht mehr drehen konnten. Als ich nie­der­ge­schlagen in die Kabine zu meinen Mit­spie­lern kam, standen plötz­lich alle auf und klatschten. Ich habe meine Dol­met­scherin gefragt: Warum klat­schen die? Wir haben doch ver­loren.“ Ihre Ant­wort: Sie finden es toll, Dich in der Mann­schaft zu haben und freuen sich, dass Du zwei Tore gemacht hast.“ Mich hat beein­druckt, dass mich die Spieler sofort so herz­lich auf­ge­nommen haben, obwohl ich nicht einmal ihre Sprache sprach.

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